vom Ortschronisten Achim Berger
Das Zollhaus und seine alte historische Brücke, die in den 1980iger Jahren verkehrstechnisch durch eine parallele moderne Brücke ersetzt wurde, haben eine lange historische Vergangenheit. Beim Zollhaus überquerte die alte Meißner Straße (jetzt K7794) die Bobritzsch und verband in alter Zeit die damals politisch und wirtschaftlich bedeutendsten Städte Sachsens Meißen und Freiberg. Anfangs war die Überquerung ein einfacher Brückensteg. 1559 verpflichtete Kurfürst August, der Bauherr des Schlosses Augustusburg, den Marschall auf Bieberstein zur Instanthaltung der auf seinem Territorium liegenden Wege und Brücken, wofür er als Gegenleistung Wege- und Brückenzoll erheben durfte. 1696 verfügte August der Starke den einfachen Brückensteg durch eine stabile Holzbrücke zu ersetzen, was unter dem damaligen Grundherrn von Bieberstein, Gotthelff Friedrich von Schönberg, dann auch erfolgte mit der Erlaubnis, den Brückenzoll zu verdoppeln. 1732 wurde von dessen Sohn, Caspar von Schönberg, diese Holzbrücke durch eine steinerne Doppelbogenbrücke ersetzt, was auch noch am rechten Brückenschlussstein zu sehen ist. 1839 wurde „den Adlig vom Schroeterschen Gerichte“ (Grundherr von Bieberstein war zu dieser Zeit Haubold von Schröter) die Erhebung eines Wege- und Brückenzolls erneut bestätigt und auf einer Holztafel am Schlagbaum bekannt gemacht. Erhoben wurden für jedes Pferd 6 Pfennige, für jedes Rind 3 Pfennige und für jedes Schwein, Schaf und Kalb ein Pfennig. Ebenfalls einen Pfennig kostete jeder Schiebebock. Befreit von den Abgaben waren u.a. die Familien der Rittergutsbesitzer zu Reinsberg und zu Krummenhennersdorf und der Mahlmüller von Bieberstein (die nahe am rechten Muldenufer gelegene Biebersteiner Mühle brannte 1904 ab und existiert nicht mehr). Noch nach dem 1.Weltkrieg musste z. B. für einen Schiebebock Zoll bezahlt werden, während die inzwischen aufgekommenen Motorräder und Autos freie Überfahrt hatten, weil sie auf der Bekanntmachung von 1839 natürlich nicht mit aufgeführt waren. Die Erhebung des Brückenzolls ist dann wohl in den zwanziger Jahren für alle aufgehoben worden.
Das frühere Zollhaus, also die Unterkunft für den Zolleinnehmer, befand sich gegenüber der Straße von dem jetzigen Gaststättengebäude. Es wurde vom Grundherrn von Bieberstein an Zöllner verpachtet. Entsprechende Berufsbezeichnungen, wie Pächter des Zollhauses und Zolleinnehmer, findet man auch im ältesten Kirchenbuch von Bieberstein (1644-1750), wobei diese offenbar wegen des geringen Verdienstes oft noch einem zweiten Beruf nachgingen. Der zusätzliche Gaststättenbetrieb kam erst etwas später auf, nicht ohne Probleme mit benachbarten Gaststättenbesitzern. So beschwerten sich 1828 die Gastwirte von Hirschfeld und Oberreinsberg bei der Regierung von Sachsen über das angemaßte Schankrecht des Pächters vom Zollhaus zu ihrem Schaden. Der umtriebige Zollhauspächter hatte Futterkrippen für die Pferde, eine Freiluftkegelbahn und einen Schießstand zum Verweilen der Brückenpassanten eingerichtet. Auch eine „Frao Madame“ wäre in der Stube zugegen. Der bereits o.g. Zollhausbesitzer von Schröter wehrte sich beim König erfolgreich gegen die Beschwerte mit der Begründung, dass die Zollhausschenke ein Teil der Erbgerichtsgaststätte Bieberstein sei und Schankrecht schon seit über 50 Jahre ausgeübt wird. Mit dem Bau des jetzigen Gasthofgebäudes um 1850 entwickelte sich das Zollhaus zu einer immer beliebteren Ausflugsgaststätte. Bald darauf findet man z.B. im „Nossener Anzeiger“ vom Gastwirt Tröger Einladungen „Zum Karfenschmauß“ oder „Zur Kirmeß auf dem Zollhaus“ mit der Nebenbemerkung: „Der Saal ist frisch gebohnt“. Die Inbetriebnahme der Kleinbahnstrecke Wilsdruff – Nossen im Jahre 1899 führte zusätzlich Ausflügler aus den Regionen um Nossen und Dresden (die Kleinbahn führte bis Freital-Potschappel) in das romantische Bobritzsch- und Muldental einschließlich zu einem in Mittelsachsen immer bekannter werdenden Wanderweg, der „Grabentour“, die im Zusammenhang mit dem Bau des Rothschönberger Stollens entstanden war. Auch galt das Zollhaus lange Zeit als geographischer Mittelpunkt des Königreiches Sachsen. Nach den Schrecken des 1.Weltkrieges belebte sich die Ausflugsgeschäftigkeit am Zollhaus bald wieder. Wie schon vorher befand sich gegenüber der Straße vom Gasthaus eine Art von Minipark mit Schwanenteich, Spielanlagen für Kinder und eine Freiluft-Tanzdiele, auf der ab Mitte Mai jeden Mittwoch die beliebte Tanzkapelle Rudi Helm zum Tanz aufspielte. Der Eintritt war frei, aber für jede Tanzrunde wurde, wie mir mein Vater erzählte, vom „Tanzmeister“ ein Groschen von den aktiven Tänzern abkassiert. Bald nach dem 2.Weltkrieg wurde das Zollhaus vom VEB Gerätewerk Karl-Marx-Stadt erworben, der es vorrangig als Kinderferienlager nutzte. Das Zollhaus blieb aber auch weiterhin öffentliche Gaststätte bis Anfang der neunziger Jahre. Nach der Wende ging die Gaststätte dann wieder in Privatbesitz über, trug sich aber wie manche andere Gaststätte auch in unserer Region offenbar wirtschaftlich nicht mehr. Erfreulich ist, dass wenigsten jährlich zur Himmelfahrt am Zollhaus nach wie vor ziemlicher Trubel herrscht.
Ungewiss ist auch das Schicksal der alten Zollhausbrücke. Schon zu DDR-Zeiten wurde diese historische und unterste Brücke am Flusslauf der Bobritzsch unter Denkmalschutz gestellt und hat die beiden Hochwasser 2002 und 2013 auch halbwegs überstanden. Dem Internet kann man aktuell von Regierungsseite des Freistaates entnehmen, dass es zurzeit keinen verantwortlichen Eigentümer für die Brücke gibt, da im Grundbuch noch „Eigentum des Volkes“ steht, d.h. sie noch der nicht mehr existierenden DDR gehört. Bleibt zu hoffen, dass zumindest zunächst die Eigentumsfrage auf aktuellem Stand gebracht wird. Für die Instanthaltungskosten wäre die Wiedereinführung eines Brückenzolls für Wanderer ja auch noch eine Option!
Achim Berger