vom Ortschronisten Achim Berger
Zu den Siedlungsaktivitäten in Bieberstein bis zur ersten urkundlichen Erwähnung 1218 gibt es keine konkreten Belege. Für eine Interpretation dieses Zeitraumes müssen deshalb bekannte lokale und historische Ereignisse dieser Zeit aus der näheren Umgebung herangezogen werden.
Die Besiedlung unseres Raumes hängt eng mit der Gründung des Klosters Altzella zusammen, das nach einer vorliegenden Stiftungsurkunde im Jahre 1162 vom Wettiner1 Markgrafen Otto von Meißen, später der Reiche genannt, im Jahre 1162 mit 800 Hufen (über 20.000 ha) belehnt wurde. Mit der Gründung dieses Familienklosters wurde dort auch eine Erbbegräbnisstätte für die Wettiner geschaffen. Es war damals die größte geistliche Grundherrschaft in Sachsen. Zum Stiftungsgebiet gehörte auch die Gegend um Freiberg, das damals noch Christiansdorf hieß. Um 1168 wurde in dieser Region Silbererz gefunden, weshalb Markgraf Otto die Ortschaften Christiansdorf, Tuttendorf und Berthelsdorf sofort wieder aus dem Klostergebiet ausgliederte (118 Hufen), um seinen unmittelbaren, wenn auch rechtmäßigen Zugang (Bergregal), zu den Erzvorkommen zu sichern, was dann 1185 urkundlich endgültig festgeschrieben wurde.
Die Besiedlung unserer Region erfolgte historisch gesehen vergleichsweise spät, obwohl die Burg Meißen, die nur etwa 15 km Luftlinie von Bieberstein entfernt liegt, schon seit 929 bestand. Diese wurde nach der Unterwerfung der Slawen durch den deutschen König Heinrich I. gegründet. Die weitere deutsche Besiedlung mit der einhergehenden Christianisierung der Sorben stoppte dann etwa für 200 Jahre vor dem wohl recht unwirtlichen erzgebirgischen Urwald, dem Miriquidi. Der Schwerpunkt der deutschen Kolonisation lag zunächst mehr in der Besitznahme der von den Slawen schon seit etwa dem Jahre 600 bewirtschafteten fruchtbaren Böden der Lommatzscher und Meißner Pflege. Dieses Gebiet, das ehemals slawische Gau Daleminzi, reichte südlich bis an die Triebisch und Mulde etwa entlang der heutigen, jetzt still gelegten Bahnlinie Meißen-Nossen. Unser Raum war im 10. Jahrhundert also noch unbesiedelt, wenn auch slawische Jäger und Fischer schon zu dieser Zeit, z. B. von ihrer Wallburg auf dem Rodigt bei Nossen aus, über die Mulde bis in das Bobritzschtal vordrangen und diesem Flüsschen offenbar wegen der dort häufig vorkommenden Biber ihren slawischen Namen gaben, den die deutschen Siedler dann später auch übernahmen. Erst mit dem Vordringen der Wettiner in die Mark Meißen, insbesondere mit der Machtübername durch Konrad dem Großen 1125 (er ist der Erste auf dem Fürstenzug in Dresden) und durch seinen Sohn Otto (sein Denkmal steht auf dem Obermarkt in Freiberg) , der 1156 als ältester von fünf Söhnen die Mark Meißen übernahm, erfolgte im 12. Jahrhundert eine intensive Urbarmachung des Miriquidi mit der Entstehung vieler Ansiedlungen in unserer Region. Siedlungskerne der Kolonisation an der heimatlichen Wildlandgrenze waren die Steinburgen Nossen, Bieberstein und Reinsberg. Ausgangspunkt war wahrscheinlich Nossen, das bereits auf eine slawische Befestigung aufbauen konnte und dem Altsiedelland am nächsten lag, während die Burgen Bieberstein und Reinsberg an den Steilhängen der Bobritzsch neu errichtet werden mussten. Der Name Bieberstein von Anfang an weist auf eine deutsche Siedlung hin, da Slawen keine Steinburgen kannten. Wie bei Kriebstein, Frauenstein u.a. Steinburgen wurde der Name noch zu Bieberstein ergänzt, da die Burg an der Bobritzsch (deutsch: Biberbach) lag, an der sich auch jetzt wieder Biber ansiedeln. Zeitnah erfolgten die Rodung der Umgebung und die erste dörfliche Besiedlung durch Bauern vor allem aus Franken und Thüringen, die auch für die wirtschaftliche Unterhaltung der Burgen sorgen mussten. Die edelfreien Ritter von Bieberstein und Reinsberg waren offenbar mit den ersten Wettinern in unser Gebiet gelangt und haben vom Markgrafen, wahrscheinlich schon von Konrad dem Großen, für besonders treue Dienste bei den Eroberungszügen größere Landstücke als Lehen erhalten, natürlich auch mit der Absicht, dort die Kolonisation mit voranzutreiben und den Schutz dieser Gebiete zu übernehmen. Im Falle von Bieberstein war es das Gebiet zwischen rechtsseitiger Mulde und linksseitiger Bobritzsch bis zu deren Zusammenfluss in der Nähe vom Zollhaus. Im Süden reichte das Lehen mit fast 100 Hufen (2500ha) bis zur Linie zwischen Rothenfurt (Mulde) und Falkenberg (Bobritzsch). Die Vergabe dieses Gebietes erfolgte wahrscheinlich schon vor der Gründung des Klosters Altzella 1162, denn das unmittelbar angrenzende Bieberstein wurde bei der Festlegung des Klostergebietes ausgeklammert, da es offenbar schon als unabhängige Herrschaft bestand. Die Anfänge der Biebersteiner Besiedlung kann man also um 1150 datieren. Konkrete urkundliche Belege gibt es dafür allerdings nicht. So beging aber bekanntlich unser Nachbarort Krummenhennersdorf schon 2006 sein 850-jähriges Bestehen, was auf gründliche Recherchen des Lehrers und Chronisten Friedrich Hartmann in seiner sehr informativen Ortschronik von 1956 zurückgeht. Für das Alter von Bieberstein ist das insofern interessant, da Krummenhennersdorf von Anfang an (später nur noch Teile davon) zur Grundherrschaft und zum Kolonisationsgebiet von Bieberstein gehörte und die Burg Bieberstein damit schon etwas vor 1156 existiert haben muss. Die Ersterwähnungen von Ortschaften liegen z.T. erheblich hinter den ersten Ortsbebauungen zurück, so werden in unserem Falle Reinsberg 1197 und Bieberstein 1218 erstmals urkundlich erwähnt. Bieberstein taucht namentlich das erste Mal in einer lateinisch abgefassten Urkunde vom markgräflichen Landding (Gerichtstag) zu Culmiz auf. Ein Günther von Bieberstein (Guntherus de Biverstein) wie auch die Herren von Nossen (Nozzin) werden darin als Zeugen einer Landschenkung an das Kloster (Alt)-Zella2 genannt. Von dem zur Herrschaft Bieberstein gehörenden Krummenhennersdorf ist auch noch das zeitlich ebenfalls davor liegende Jahr 1195 erwähnenswert , als Markgraf Ottos ältester, recht gewalttätiger Sohn, Albrecht der Stolze (er hat selbst seinen Vater wegen Geldstreitigkeiten in Gefangenschaft genommen), in der Hennersdorfer Mühle starb. Er starb auf dem Wege von Freiberg, wo er vergiftet worden war, nach Meißen. Er wie seine ebenfalls vergiftete Frau und seine Eltern, Otto der Reiche und Frau Hedwig, fanden ihre letzte Ruhestätte3 in der damaligen Klosterkirche von Altzella. Urkundlich erscheinen die Herren von Bieberstein in unserer Region das letzte Mal 1290 bei einer Veräußerung an das Kloster Altzella (Rulico de Bivirstein). Diese Urkunde wurde bereits in Friedland4 (jetzt Tschechien in der Nähe von Zittau) ausgestellt. Rulico hatte neben anderen 1278 die Herrschaft Friedland erworben, die bis 1551 eine Stammburg der Biebersteiner war. In dieser Zeit bekleideten verschiedene Biebersteiner bedeutende Ämter am Hof von Prag und in Böhmen. Seit 1667 sind sie im Mannesstamm erloschen. Nach den Herren von Bieberstein saßen auf Bieberstein für etwa 100 Jahre die von Maltitz, gefolgt von den Marschällen von Bieberstein über 200 Jahre und nach einer kurzen Übergangszeit von denen von Schönberg bis 1807.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die Kolonisation wesentlicher Teile unserer Gemeinde von 1140 bis 1160 in der zweiten oder Haupt-Phase der Siedlungsbewegung in Sachsen erfolgte, die bis etwa 1200 bis zum Erzgebirgskamm mit den meist noch heute bestehen Ortschaften weitestgehend abgeschlossen war. Mit den damaligen einfachen technischen Mitteln war das eine gewaltige Leistung der angeworbenen Siedler, die vorrangig aus Unterfranken (Maingebiet) und Thüringen kamen. Es mussten sowohl der Urwald gerodet und urbar gemacht und Wohnstätten gebaut werden als auch mit Verbindungsstraßen eine erste Infrastruktur geschaffen werden.
Erste urkundliche Erwähnung von Bieberstein: 1218, 8.Januar; Markgraf Dietrich beurkundet, daß Burggraf Meinher von Meißen dem Kloster Altzelle 3 Hufen in Domezlawiz (Domselwitz) und 3 Hufen in Skere (Scheerau) übertragen und die Schenkung im Landding zu Culmiz anerkannt hat. Guntherus de Biverstein ist ein Zeuge.
Bildnachweis
Vorlage und Repro: Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden; 10001 Ältere Urkunden Nr. 207, S.2
Anmerkungen
1 Die noch gut erhaltene Stammburg der Wettiner liegt hoch über der Saale im Städtchen Wettin in der Nähe von Halle.
2 Die Bezeichnung Alt-Zelle wurde erst nach der Gründung des Tochterklosters Neuzelle 1268 in der Niederlausitz eingeführt. Die Klosteranlage mit Klosterkirche befindet sich in einem guten Zustand und wird 2018 als Kloster wieder besiedelt.
3 Die im 18. Jahrhundert wieder freigelegten Grabplatten befinden sich im dafür 1787 errichteten Altzellaer Mausoleum. Die Grablegen von Wettiner Markgrafen in Altzella endeten 1397 und erfolgten nach einer Übergangszeit im Dom zu Meißen und ab 1541 bis 1694 als Kurfürsten im Freiberger Dom.
4 Bekannter, nicht zuletzt auch durch Friedrich Schiller, ist heute Friedland durch den kaiserlichen Feldherren Wallenstein im Dreißigjährigen Krieg, der die Herrschaft Friedland 1620 übernahm, aber nur für kurze Zeit besaß, da er verbunden mit einer gewissen Tragik 1634 in Eger (Cheb) ermordet wurde.
Quellennachweis (Auswahl)
Eduard Beyer: Cistercienser-Stift und Kloster Alt-Zelle~. Dresden 1855
Bieberstein Geschichte und Gegenwart. Festschrift zum Schul-u.Heimatfest 1975
Codex diplomaticus Saxoniae I A 3, 247
Gautsch: Die alten Burgen und Rittersitze um Freiberg. In: Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins H.14(1877), S.1271-1320
- Gröger: Burgen und Schlösser im Meißner Lande, Neuntes Stück: Bieberstein. In: Die Heimat Monatsbeilage Nr.7/8, Meißen 1939
Friedrich Hartmann: Krummenhennersdorf in 8 Jahrhunderten. Ortschronik 1956
Andre Thieme: Burg und Herrschaft im Osterzgebirge. Vortrag zur Jahrestagung „Arbeitskreis für sächsische Kirchengeschichte“, Dippoldiswalde 2000
Achim Berger