vom Ortschronisten Achim Berger
Die erste Eintragung 1859 in das Kirchenbuch von Bieberstein ist dem damaligen Pfarrer C.G.Günther sicher nicht leicht gefallen. Er berichtet dort über die Ermordung des Berggesellen Franz August Pahlitzsch1 von den Heidehäusern, die zu Hohentanne und damit zur Kirchgemeinde Bieberstein gehörten. Im Kirchenbuch ist unter der Spalte „Ursache des Todes.“ eingetragen: „ Wurde auf dem Zechenwege von einem noch nicht 15 Jahre alten Bergjungen, Karl Eduard Wüstner aus Hohentanne erschlagen u. seines Lohnes beraubt.“ (Bild1).
Bild1: Eintrag im Biebersteiner Kirchenbuch B5 1859, S. 476/77
Diese schreckliche Tat wurde 1925 im „Heimatboten für die Kirchgemeinden Bieberstein und Reinsberg“ unter o.g. Titel in drei Folgen im Zusammenhang mit der notwendigen Fällung der sog. Traueresche nochmals ausführlich beschrieben. Der Baum wurde am Grabe des o.g. Ermordeten gepflanzt, das sich auf der Nordseite des Friedhofes befand. Der letzte Biebersteiner Pfarrer, O. Dinter, bezog sich dabei auf ein seinerzeit extra herausgegebenes Büchlein mit dem Titel „Ein jugendlicher Mörder. Zum Studium für Eltern, Erzieher, Juristen, Psychologen.“ Die recht ausführliche und zum Teil sehr drastische Schilderung des Mordgeschehens soll hier kurz zusammengefasst werden. Der noch nicht ganz 17 Jahre alte Franz Pahlitzsch und sein knapp 15 Jahre alter Mörder Eduard Wüstner wohnten direkt benachbart auf den Heidehäusern und waren befreundet. Beide arbeiteten im Bergbau, Franz auf der „Gesegneten Bergmannshoffnung“ und Eduard auf der Wäsche der „Alten Hoffnung Gottes“ im Raum Kleinvoigtsberg. Die Familie Wüstner lebte mit sechs Kindern in recht ärmlichen Verhältnissen und hatte schon das eigene Haus aufgeben müssen. Der Vater war sehr streng und hatte eine leichte Hand. Sein Sohn Eduard durfte von seinem Lohn, der bei zwölfstündiger Schicht in 14 Tagen nur 3 bis 4 Taler betrug, nur 2 Neugroschen2 behalten. Bei dürftiger Kost von zuhause hatte sich der schwer arbeitende und oft hungrige Eduard in der Werkskantine mit einem Taler und 20 Neugroschen verschuldet. Die Kantine wurde von der Frau des Wäschesteigers, seinem Chef, verwaltet. Vom Wäschesteiger wurde die Begleichung dieser Schulden energisch bei der nächste Lohnzahlung am 7.Januar verlangt. Unglücklicherweise hatte der Vater an diesem Tag schon mittags den Lohn seines Sohnes abholen lassen, sodass dieser die Schulden nicht begleichen konnte und er versprach, das am nächsten Tag zu tun. Unabhängig davon hatte er ohnehin große Angst, dem Vater seine Schulden zu beichten. Aus dieser seelischen Not entstand der Mordplan an seinem Arbeitsgefährten, mit dem er oft zusammen den langen Fußweg von Kleinvoigtsberg zu den Heidehäusern zurücklegte. Mit zwei weiteren Wäschejungen machten sich die vier an diesem Abend über den Zechensteig auf den Heimweg. Der von der Mulde hochkommende Zechensteig, der in alten Karten noch eingetragen ist, überquerte etwa an der Einbiegung des Schwarzen Weges (Fahrstraße) nach Gotthelffriedrichsgrund die Alte Meißner Straße. Dort trennten sich die zwei anderen Wäschejungen nach Burkersdorf bzw. Gotthelffriedrichsgrund von den beiden. Der Fußweg verlief weiter durch einen Erlenbusch (nicht mehr vorhanden)3 zu den nun naheliegenden Heidehäusern. Dort erschlug Wüstner sein Opfer von hinten mit einem Holzknüppel mit mehrfachen Schlägen auf den Kopf und ging vergleichsweise ungerührt nach Hause. Der Tode wurde noch am späten Abend von seinem Bruder gefunden. Wüstner verstand es, bei der Gendarmerie den Verdacht zunächst auf einen anderen Wäschejungen aus Gotthelffriedrichsgrund zu lenken, der daraufhin verhaftet wurde. Aber schon nach fünf Tagen wurde Wüstner eindeutig als Mörder ermittelt und verhaftet. Aufgrund seiner Jugend entging er der Todesstrafe. Er wurde zu 18 Jahren Arbeitshaus verurteilt und starb dort in seinem letzten Haftjahr mit 33 Jahren.
Bild 2: In „Meißner Blätter“, Nr.10, 14.Jan.1859
Die Mordtat vor 160 Jahren erregte damals im mittelsächsischen Raum ein ziemliches Aufsehen, was auch in der regionalen Presse seinen Niederschlag fand, so in den „Meißner Blättern“ (Bild2) oder im „Nossener Anzeiger“ und eben im anfangs erwähnten Büchlein. Das Geschehnis ist aber auch ein Kennzeichen für eine nicht ganz heile Welt in der „guten alten Zeit“, die eben oft von Armut und aus der Not heraus entstandenen falschen Erziehung im Elternhaus und auch in der Schule geprägt war. Eigentlich war auch der Täter ein Opfer seiner Zeit.
Anmerkungen
1 Franz August Pahlitzsch war der jüngere Bruder meines Urgroßvaters mütterlicherseits, der wie auch sein Vater (mein Ururgroßvater) im gleichen Bergwerk „Gesegnete Bergmannshoffnung“ als Bergmann tätig war.
2 Ein Taler waren in Sachsen 30 Neugroschen; die für 14 Tage gewährten 2 Neugroschen als Taschengeld hatten zu heute etwa eine Kaufkraft von einem Euro.
3 Der Erlenbusch stand in einem Quellen- und Feuchtgebiet, aus dem auch die 1874 für Gotthelffriedrichsgrund gebaute Wasserleitung gespeist wurde. Diese Wasserleitung war notwendig geworden, da durch den ab 1844 aufgefahrenen Rothschönberger Stollen, der zwischen dem 6. und 5.Lichtloch in der Nähe von Gotthelfriedrichsgrund vorbei führt, die Brunnenspiegel im Ort merklich gesunken waren.