vom Ortschronisten Achim Berger und Kirchenvorstand Andre Grosa
Die Information im Amtsblatt vom Oktober 2014 zum vorgesehenen Ersatz der zwei alten Eisenhartguss-Glocken durch neue Bronzeglocken war für mich Anregung, die Geschichte der Biebersteiner Kirchenglocken einmal etwas näher zu beleuchten.
Bild 1: Alte Hilliger-Glocke von 1475 ( Aufnahme des Verfassers im März 2015 ) im alten Glockenstuhl
In allen historischen Aufzeichnungen über Bieberstein und insbesondere auch zur Kirche werden die Glocken nicht oder nur beiläufig erwähnt. Erste erhaltene Niederschriften zur Kirchengeschichte von Bieberstein gibt es überhaupt erst seit 1648, da ältere Aufzeichnungen in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) vernichtet worden sind.
Bis zum Ersten Weltkrieg besaß die Kirche von Bieberstein ein Geläut mit folgenden drei Bronzeglocken:
- die große, ca. 10 Zentner schwere Glocke von 1475, die noch heute vorhanden ist. Erst nach der Glockenaushebung am 4. Juni 2015 konnte durch Herrn Dr. Jürgen Hübler aus Freiberg anhand des Gießerzeichens bestätigt werden, dass es sich bei dieser uralten Glocke mit Gewissheit um eine Hilliger-Glocke handelt. Über die berühmte Freiberger Glockengießer-Dynastie Hilliger wurde ja in der Presse schon berichtet, z.B. in „Freie Presse“ vom 21.02.2015.
- die mittlere Glocke ohne Beschriftung und Verzierungen, die als noch wesentlich älter eingeschätzt wurde
- die kleine Glocke, die 1710 von Michael Weinhold aus Dresden umgegossen wurde.
Anmerkung: In den bisherigen historischen Ausführungen zur Biebersteiner Kirche wird als ältester Bestandteil meist der Taufstein von 1580 herausgehoben. Die Hilliger-Glocke ist aber über 100 Jahre älter und stammt noch aus der vorreformatorischen Zeit, worauf auch die Marienanrufung der deutschsprachige Glockeninschrift hindeutet.
Die mittlere und kleine Glocke wurden 1917 für Kriegszwecke beschlagnahmt und eingeschmolzen. Die große Glocke blieb wegen ihres historischen Wertes davon verschont. Bereits 1919 erfolgte in der Kirchgemeinde Bieberstein mit den zugehörigen Orten Burkersdorf, Gotthelffriedrichsgrund und Hohentanne die Einrichtung eines Glockenfonds für zwei neue Glocken. Für diesen Fonds wurden umfangreiche Spenden- und Sammelaktionen durchgeführt. Auch ohne Internet beteiligten sich an der Spendenaktion viele ehemalige Gemeindemitglieder aus der Fremde und brachten am Ende mindestens den gleichen Spendenbetrag auf wie die ansässigen Gemeindemitglieder. Schon bis Mitte 1921 waren das insgesamt fast 30.000 Reichsmark. Bemerkenswert zu der großen Spendenfreudigkeit ist, dass in dieser schweren Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg gleichzeitig noch Spendensammlungen für das Kriegerdenkmal erfolgten. Da die eingegangenen Glockenspenden noch nicht ausreichend waren, wurden 1921 vom Kirchenvorstand auch intensiv nach Alternativen zu neuen Bronzeglocken gesucht und diskutiert, wie Stahlgussglocken oder der Kauf von gebrauchten Bronzeglocken, die klanglich zur alten Hilliger-Glocke passen. Letztlich wurde doch der Neuguss von zwei Bronzeglocken entschieden, um in Bieberstein für eine lange Zukunft ein hochwertiges Geläut zu haben. Der Guss und die Montage erfolgten 1922 von der renommierten Firma Franz Schilling Söhne aus Apolda. Zu der alten Hilliger-Glocke, die nun als mittlere Glocke eingestuft wurde, wurden eine große Glocke (Gewicht 890 kg) und eine kleine Glocke (Gewicht 263 kg) zugegossen. Beide Glocken kosteten ohne Montage ca. 45.000 Mark. Die Glockeneinholung und die Glockenweihe erfolgten im September 1922. Die zeitgenössische Schilderung dazu in der Novemberausgabe 1922 des „Heimatboten“, dem Kirchenblatt von Bieberstein, Dittmannsdorf, Hirschfeld und Reinsberg, soll hier im vollen Wortlaut widergegeben werden:
„Glockeneinholung und Glockenweihe liegen hinter uns und bedeuten einen Markstein in der Geschichte unserer Kirchgemeinde. Die Glockeneinholung am 17. September war von demselben schönen Sonnenwetter begünstigt, das uns bei der Weihe des Kriegerdenkmals im Mai beschieden gewesen war. Punkt 3 Uhr setzte sich der Festzug mit den Glocken ab Station Obergruna-Bieberstein in Bewegung. Glocken und Glockenwagen waren reich geschmückt. Die 4 stattlichen Rosse vor dem Wagen hatten 2 alteingesessene Biebersteiner Gutsbesitzerfamilien gestellt (Leupold und Partzsch). Die Wagen umsäumten etwa 60 weißgekleidete Festjungfrauen aus allen Orten der Parochie. Bieberstein zeigte reichen Festschmuck. Fast jede der vielen Ehrenpforten trug in sinniger Weise eine aus Blumen und frischem Grün gewundene Glocke. Da der Kirchplatz zu wenig Raum für eine würdige Begrüßungsfeier geboten hätte, fand dieselbe auf dem herrlich gelegenen „Brettergarten“ statt. Nach der Festrede des Ortspfarrers (Anm.: Pfarrer Dinter) sangen die Hunderte, die gekommen waren, unter Musikbegleitung das Glockenweihelied von Franke „Gottlob, nun holen wir sie ein“ und schließlich nach Dank-Gebet und Vaterunser den Vers „Nun danket alle Gott“. – Gleich am nächsten Tage begannen die Arbeiten zum Glockenaufziehen und Glockeneinbau. Unter der Leitung eines tüchtigen Monteurs der Firma Franz Schilling Söhne Apolda ging alles gut vonstatten. Das Aufziehen der Glocken erfolgte Dienstag nachmittag unter Mithilfe einiger erwachsener Gemeindemitglieder, es dauerte bei der großen Glocke 50, bei der kleinen 35 Minuten. Am Mittwoch früh konnten die Glocken zum ersten Mal geläutet werden, und es zeigte sich sofort, daß dem Glockengießer sein Werk vollkommen gelungen war und die beiden neuen Glocken vom Jahre 1922 mit der alten vom Jahre 1475 wundervoll zusammenstimmen. – In gehobener Stimmung konnten wir darum am Sonntag darauf, den 24. September, die Glockenweihe begehen. Der Festgottesdienst nachm. ½ 2 Uhr, der zugleich der Erntedankfeier galt, war dicht besetzt, und durch erhebenden Festgesang, vom Männergesangsverein und Frauenchor zu Bieberstein dargeboten, ausgezeichnet. Nach der Predigt wurde die Weihe vom Altar aus vollzogen, und zwar wurde die große Glocke, die die Inschrift trägt „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir“ und so von der Not der Zeit, in die sie geschaffen wurde, zu uns redet, geweiht als die Notglocke, die mittlere, die die Jahrhunderte überdauert hat und von der unwandelbaren Treue Gottes zeuget, als die Glaubensglocke, und die kleine mit der Inschrift „Ehre sei Gott in der Höhe“ als die Dankesglocke. Die Gemeinde gab ihrer Freude über das Gelingen am Schlusse des Gottesdienstes dadurch Ausdruck, daß sie eine Kollekte zum Besten des Glockenfonds von 3300 M. zusammensteuerte. – Hoffentlich wird die Freude an den neuen Glocken nicht getrübt durch die Nachricht, daß sich der noch zu deckende Betrag nicht wie erst angenommen wurde, auf 30 000 sondern auf 35 000M. beläuft, da die mit dem Glockeneinbau zusammenhängenden Arbeiten unvorhergesehen hohe Kosten verursacht haben. Wir werden wohl um eine erneute Haussammlung nicht herumkommen“.
Den neuen Glocken war aber nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden die zwei neuen Bronzeglocken ohne Entschädigung wieder für Kriegszwecke beschlagnahmt und 1942 vom Baubetrieb Straube Siebenlehn abgehangen und danach eingeschmolzen.
Ab 1947 erfolgten wieder Spendensammlungen für zwei neue Kirchenglocken. Wegen der Materialknappheit und aus Kostengründen kamen nur Eisenhartguss-Glocken in Frage. Die Glocken wurden 1950 wieder von der Glockengießerei Schilling aus Apolda geliefert. Den Eisenhartguß stellte die Gießerei Lattermann in Morgenröthe-Rautenkranz her, die Komplettierung erfolgte in Apolda*. Die Gesamtkosten betrugen knapp 4500 DM, die fast vollständig durch Spenden und Kollekten aufgebracht wurden. Zusätzlich mussten 3000 kg Schrott von der Gemeinde aufgebracht werden. Die Weihe der Glocken erfolgte 1950 wie 1922 wiederum am 24. September durch Pfarrer Bassenge. Mittlere Glocke des neuen Geläutes blieb die alte Hilliger-Glocke, die von der Vernichtung wieder verschont wurde. Die neue große Eisenglocke, die vor kurzem abgehangen wurde, wiegt 1284 kg und die kleine 342 kg, insgesamt also merklich schwerer als das vorherige Bronzegeläut. Begründet ist das höhere Gewicht von Eisenglocken im unterschiedlichen Elastizitätsmodul von Bronze und Eisen, wenn man ein vergleichbares Klangbild erreichen will.
Das führte letztlich auch zur Gefährdung der Stabilität des Glockenstuhls und 2010 zur Sperrung der Läutung.
Achim Berger
In den Sommermonaten 2014 leiten erste Gespräche mit den Glockensachverständigen der ev. Luth. Landeskirche in Dresden und den Mitgliedern des Hilligervereins Freiberg den Weg zur Erneuerung des Geläutes unserer Kirche ein.
I Erste Schritte
September 2014
Nach einer Reinigung des Turmaufganges und Glockenbodens in Eigenleistung findet eine erste vor Ort Begehung mit dem Glockensachverständigen, Baupfleger, Statiker; Pfarrer und Mitgliedern der Glockengruppe Bieberstein statt. Eine Schadensanalyse des Glockenstuhles ergibt die Notwendigkeit des Neuaufbaus unseres Glockenstuhles. Eine Rekonstruktion ist auf Grund der großen Bauschäden, insbesondere an den Nadelholzkomponenten nicht möglich. Eine erste Kostenschätzung für die Baumaßnahme ergibt einen Finanzbedarf von 85T€. Engagierte Einwohner organisieren eine erste Straßensammlung. Die Glockengruppe aus Einwohnern der Ortsteile und Mitgliedern des Kirchenvorstandes findet sich zusammen um die vielfältigen Aufgaben zu planen und zu koordinieren.
November 2014
Eine weitere Grundreinigung des gesamten Turmes mit Glockenboden findet in Eigenleistung statt. Als Grundlage für eine spätere Dimensionierung des Geläutes und des Glockenstuhles wird eine Schwingungsanalyse beauftragt und durchgeführt. Das Gutachten schlägt die Änderung der Läuterichtung vor. Weiterhin werden keine weiteren baudynamischen Einschränkungen bescheinigt. Der Hilligerverein gründet sich in Freiberg und signalisiert Interesse und Kooperationsbereitschaft beim Neuguss zweier Bronzeglocken.
Dezember 2014
Nach einem Adventskonzert mit den Freiberger Bergsängern unter Schirmherrschaft des Bieberstein Forums sowie zahlreichen Weihnachtskollekten steigt der Spendenstand auf über 5 T€.
II Vorbereitungsarbeiten zum Glockenaushub
Frühjahr 2015
Der Gerüstturm an der Südseite wird gestellt, ein Elektroaufzug zum Materialtransport wird angebracht. In Eigenleistung werden die die vier Schalluken sowie die Fenster der Südseite restauriert. Die Glockengruppe entscheidet, die große und mittlere alte Stahlhartgussglocke im Ganzen auszuheben und auf dem Biebersteiner Friedhof sowie in Hohentanne aufzustellen.
Mai 2015
Die Sandsteingewände der südlichen Schalluke wird vom Steinmetz ausgearbeitet, um Freiraum zum Ausfahren der großen Glocke zu schaffen. Der Standplatz für die große Stahlhartgussglocke auf dem Friedhof wird bestimmt und Platz für die geplanten Informationstafeln gefunden. Die zwei Turmfenster auf der Südseite werden in Eigenleistung restauriert.
III Glockenaushub
3. Juni 2015
Die Verschubbahn zum Verfahren der Glocken wird als Stahlkonstruktion vom Turm durch die südliche Schalluke gebaut. Ein Aufzug wird im Turm errichtet.
4. Juni 2015
Ein aufregender Tag: ein großer Mobilkran hebt unter den Blicken zahlreicher Einwohner und Gemeindeglieder nacheinander die Glocken aus dem Turm. Die große Glocke wird im Anschluß auf den vorbereiteten Platz auf dem Friedhof abgestellt, die mittlere Glocke nach Hohentanne gefahren. Bei Kaffee und Kuchen und herrlichem Wetter bleibt im Pfarrhof Gelegenheit mit den Bauleuten, Akteuren und Planern zu sprechen.
Bild 2: Aushub der großen Stahlhartgussglocke
5. Juni 2015
Die Hilliger Bestandsglocke aus dem Jahr 1475 wird zum Vermessen nach Hilbersdorf gebracht.
IV Restauration der Hilligerglocke und Planung des neuen Geläutes
Juli 2015
Überführung der historischen Hilligerglocke ins Gießereiinstitut der TU Bergakademie Freiberg zur Materialanalyse.
August 2015
Restauration und erfolgreiche Reparaturschweißung der historischen Hilligerglocke in Nördlingen. Die Transportfahrten wurden jeweils in Eigenleistung erbracht.
Oktober 2015
Die Klangprüfung zeigt den Restaurationserfolg der historischen Hilligerglocke. Der Klang der Bestandsglocke bildet die Grundlage für die Komposition und Planung des neuen Geläutes als Gloria:
Glocke fis‘ Durchmesser 1100 mm Masse 800 kg
Bestandsglocke gis’ Durchmesser 980 mm Masse 480 kg
Glocke h’ Durchmesser 800 mm Masse 360 kg
November 2015
Demontage des alten Glockenstuhles in Eigenleistung. Gespräche mit dem Hilligerverein Freiberg über den möglichen Neugusses der Glocken 1 und 3 in Freiberg. Die Kostenplanung mit dem nun größeren Geläut ergibt eine Vorhabensumme von 110 T€. Der Kosten werden anteilig von der Kirchgemeinde aus Rücklagen, Beihilfen der sächsischen Landeskirche und Spenden getragen. Dazu beantragt der Hilligerverein eine zusätzliche Förderung des Vorhabens bei der Sparkassenstiftung.
Frühjahr 2016
Aufstellen eines Gerüstturmes an der Nordseite des Turmes. Sicherung des Mauerwerkes und Reparatur der Schallukenbrüstungen sowie Putzarbeiten in der gesamten Glockenstube. Weiterhin erfolgt das Renovieren der zwei Turmfenster der Nordseite.
Sommer 2016
Der Bau und das Aufstellen des Gestells für die Informationstafeln sowie das Entrosten und der Anstrich der großen Stahlhartgussglocke erfolgt in Eigenleistung.
Herbst 2016
Weitere zahlreiche Spenden und Kollekten sowie ein erfolgreiches Benefitzkonzert des Reinsberger Chores erbringen nunmehr Spenden von über 18 T€. Entwerfen der Inschriften und der Glockenzier gemeinsam mit dem Hilligerverein Freiberg.
November 2016
Mit der Zusage der Förderung durch die Sparkassenstiftung kann der Glockenguss unter der Organisation des Hilligervereins in Freiberg durch die Kirchgemeinde Reinsberg beauftragt werden.
V Guss der neuen Glocken
3. Februar 2017
Die kleine Taufglocke wurde um 15.00 Uhr im Sächsischen Metallwerk Freiberg erfolgreich gegossen.
10. März 2017
Der zweite Abguss für die große Glocke verlief erfolgreich.
20. März 2017
Alle 3 Glocken erklingen bei der Klangprobe in Freiberg erstmals gemeinsam. Die Glockensachverständigen erteilen die Freigabe für die beiden neuen Glocken, sie sind mit Klangergebnis zufrieden und bestätigen einen fehlerfreien Guss. Die Glockengruppe plant nun kurzfristig alle Vorbereitungen zum Einholen des Geläutes durch alle Ortsteile nach Bieberstein zum Ostermontag 2017. Einen Tag danach soll das Geläut mit einem Mobilkran in den Turm gehoben und der neue Glockenstuhl errichtet werden.
Bild 3: Alle drei Hilliger Glocken vor der gemeinsamen Klangprobe im Sächsischen Metallwerk Freiberg
13. August 2017
Nach Einbau und Abnahme des neuen Glockenstuhles können die Glocken offiziell mit einem Gottesdienst und einem anschließendem Fest auf dem Kirchengelände in Betrieb genommen werden.
Andre Grosa
* Die Glockengießerei Schilling in Apolda konnte nicht selbst Eisenguß erzeugen und vergab seit 1918 ihre Aufträge für Eisenhartguß an das Eisenwerk Lattermann in Morgenröthe. Von diesem wurde u.a. auch das Schwarzenberg-Gebläse gegossen, das museal auf der Alten Elisabeth in Freiberg steht.
Nachtrag per E-Mail von Dr.-Ing. Heino Strobel aus Plauen 06.12.2019 – Vielen Dank für das Interesse